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Politik fürs Auge
Wer die Gunst der Wählerschaft gewinnen will, sollte sich auf den sozialen Medien zeigen. Wie und mit welchem Erfolg Politikerinnen und Politiker dies tun, untersucht ein Forschungsteam aus Politikwissenschaften und Informatik.
Die Schweizer SP-Politikerin Flavia Wasserfallen auf Instagram: In einem Video plädiert sie in der Arena für ein Nein zur AHV-Reform. Ein Foto zeigt sie im Urlaub beim Yoga, dahinter Meer und mediterrane Pflanzen. Auf einem anderen steht sie am Pult vor einer Festgemeinde auf dem Land und hält eine Rede zum 1. August. Auf weiteren ist sie im Shirt der Schweizer Fussballnationalmannschaft oder beim Langlaufen in den Bergen zu sehen. Die Posts sind ein Streifzug durch politische Statements und persönliche Alltagserlebnisse und vermitteln den Eindruck von Seriosität, Überzeugung und Lockerheit zugleich.
Während sich vor allem junge Menschen über Social-Media-Kanäle politisch informieren, ermöglichen es Instagram, Twitter, Facebook und Co. Politikerinnen und Politikern, in einen direkten Austausch mit potenziellen Wählerinnen und Wählern zu treten. Sie können Informationen selbst verbreiten und müssen nicht den Umweg über klassische Medien nehmen. Somit können sie jene Version ihrer selbst präsentieren, die sie wollen.
Dieses Phänomen beschreibt die Politikwissenschaftlerin Stefanie Bailer von der Universität Basel gemeinsam mit Nathalie Giger und Maxime Walder von der Universität Genf in einem kürzlich erschienenen Fachartikel. Anhand von Umfragen in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Polen und dem Vereinten Königreich zeigt die Arbeit, dass es zu einem Abzug in der Gunst der Wählerschaft führt, wenn Politikerinnen und Politiker Social Media nicht benutzen.
In einer anderen Studie zeigen die Autorinnen aber auch, dass Politikerinnen und Politiker nicht automatisch beliebter sind, wenn sie ein Profil auf den sozialen Medien pflegen. Denn: Es kommt auf die Art und Weise an, wie sie ihr Verhalten und ihre Persönlichkeit vermitteln.
Zum Beispiel auf Twitter: Im Zuge von Umfragen und Analysen konnte Bailer gemeinsam mit anderen Forschenden zeigen, dass Wählerinnen und Wähler weniger an privaten Tweet-Inhalten interessiert sind, mehr jedoch an politischen Themen, in die sie durch Diskussionen in den Kommentaren miteinbezogen werden.
Hürden bei der Datengewinnung
Twitter machte den Forschenden die Datenerhebung vergleichsweise leicht, da sie die Daten dort im grossen Stil herunterladen konnten. «Daher haben wir uns auf diese Plattform fokussiert», sagt Projektleiterin Stefanie Bailer. «Bei Facebook und Instagram hingegen wird die Arbeit dadurch erschwert, dass man die Daten praktisch täglich abspeichern muss, um einen Datensatz aufzubauen.» Um dieses Problem zu lösen, kooperieren sie inzwischen mit Informatikerinnen und Informatikern der Universität Basel unter Leitung von Heiko Schuldt. Diese Art der Forschung hängt also von der Kooperation mit sozialen Plattformen oder aber technischen Mitteln ab, Hürden bei der Datengewinnung zu überwinden. Auch deshalb hat sich die Analyse lange Zeit auf Textdaten beschränkt; Bilder und Videos blieben aussen vor.
Ein weiteres laufendes Forschungsprojekt will das ändern. Das Projekt «Visual Politician» startete Anfang 2021 und fragt: Welche Rolle spielen Bilder in der Onlinekommunikation zwischen Parteimitgliedern und Wählenden? Das Forschungsteam um Stefanie Bailer und Heiko Schuldt widmet sich dem Bild dabei in einem interdisziplinären politik- und computerwissenschaftlichen Ansatz – ein technisch anspruchsvolles Vorgehen.
Während man in der Textanalyse schon viel weiter sei und automatische Texterkennungsverfahren, Schlagwörter und Wörterbücher anwendet, ist man bei der Bilderkennung häufig noch auf die von Google entwickelten Optionen angewiesen, so Bailer. Diese Anwendungen seien sehr effizient bei der Erkennung von Gesichtsausdrücken und können beispielsweise zwischen traurigem Gesichtsausdruck und fröhlichem Lächeln unterscheiden. Damit können die Forschenden quantitativ untersuchen, wie freundlich sich Politikerinnen und Politiker darstellen. Ausserdem erkennen die Algorithmen beispielsweise, ob sich patriotische Symbole im Bild befinden, ob die Leute Krawatten tragen, ob noch andere Leute auf dem Bild gezeigt sind oder ob sich die Szene in der Natur abspielt.
Für das Projekt erhielt das Forschungsteam besseren Zugang zu Daten von Facebook und Instagram, sodass der Bildfokus möglich wurde. «Bilder sind so wichtig, weil sie Emotionen hervorrufen, und diese sind in der Politik von immer grösserer Bedeutung», sagt Stefanie Bailer. Gerade Freundlichkeit, aber vor allem Angst und Wut seien die grossen Schlagwörter der Wahlforschung, so die Politikwissenschaftlerin. «Man geht davon aus, dass diese Emotionen auch wirklich das politische Verhalten der Bürgerinnen und Bürger beeinflussen.»
Deshalb wolle sie anregen, dass man in Zukunft sowohl Bild wie Text untersuchen muss, sagt Bailer. So wird in ersten Analysen über Schweizer und deutsche Politikerinnen und Politiker untersucht, wie oft sie ihr eigenes Gesicht in einem Selfie zeigen oder wie oft sie sich zusammen mit anderen Menschen porträtieren – zum Beispiel mit Führungspersonen aus ihrer Partei. Solche Fotos sendeten den Wählerinnen und Wählern ein Signal der Nähe, wie Stefanie Bailer sagt.
Die Aussenwahrnehmung mitgestalten
Eine weitere Untersuchungseinheit ist das Geschlecht. «Hier interessiert uns vor allem, ob Frauen sich bildlich anders auf Instagram darstellen als Männer», sagt die Politikwissenschaftlerin. Social Media biete insbesondere Frauen eine Möglichkeit, sich so darzustellen, wie sie gerne gesehen werden wollen, meint sie. «Die traditionellen Medien stellen sie immer noch verzerrt und mit Klischees beladen dar. Sie werden dort ganz häufig nach ihren Kindern gefragt, oft werden ihre sozialen Charakteristika betont statt ihre Führungsfähigkeiten.»
Ein gutes Beispiel dafür ist die eingangs erwähnte Flavia Wasserfallen. «Sie hat einen spontanen, authentischen Zugang zu ihrem Instagram-Profil, wo sie sich als facettenreiche Frau zeigt», so Bailer. Sie zeige, dass sie einerseits seriöse Politik in Parlament und der «Arena» von SRF gestalte, dass sie aber auch Spass und ein Familienleben habe. Diese Kombination sei ein gelungenes Signal, dass Politikerinnen vielseitig und authentisch sein können.
Auf Nachfrage gibt Flavia Wasserfallen an, dass sie für ihren Auftritt auf den sozialen Medien kein fixes Konzept habe: «Ich poste vieles aus dem Moment oder dem Gefühl heraus. Gewisse Kanäle nutze ich strikt nur für politische Inhalte, bei Instagram vermischen sich Politisches und Persönliches. Ich habe mir in diesem Bereich aber rote Linien gesetzt, die ich nicht überschreite.»
Sie wünsche sich, dass es möglich bleibt, ohne Preisgabe von Persönlichem politisch tätig sein zu können, betont die Politikerin. Die Entscheidung müsse aber jede und jeder für sich selbst treffen. «Dabei muss man wissen: Je grösser dieser Einblick in die Privatsphäre ist, desto grösser wird der öffentliche und mediale Anspruch darauf – in guten wie in schlechten Zeiten.»
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